Ich-Syntonie

Ich-Syntonie und Social Distancing bei Parkinson

Eine These steht zur Diskussion

Was fängt man an mit einem Freund der, an PD erkrankt, ohne Probleme 10 Stunden schläft, und wieder erwacht, ohne erkennbare Selbstzweifel, ohne erkennbaren Leidensdruck, es zu Hause auf der Couch am schönsten findet. Tag für Tag, Monat für Monat.

Pathologisch Ich-Synton

Wikipedia beschreibt Ich-Syntonie so:

„Ich-Syntonie bedeutet allgemein, dass eine Person ihre Gedanken, Impulse oder Gemütserregungen als zu ihrem Ich gehörend erlebt. Diese werden also nicht als fremd und störend wahrgenommen, sondern als fester Bestandteil der eigenen Persönlichkeit. Daher geht von ihnen auch kein Leidensdruck aus.

Ich-Syntonie beschreibt somit auch ein Gefühl, das eigene Verhalten selbst nicht als abweichend oder normverletzend zu empfinden – auch dann, wenn es von anderen Personen als Abweichung gesehen wird. Der Gegensatz zur Ich-Syntonie ist die Ich-Dystonie.

In der Psychopathologie ist die Ich-Syntonie ein Symptom verschiedener psychischer Störungen. Erleben und Verhalten, das einem Störungsbild zugeschrieben werden kann, wird aus der Eigenperspektive nicht als störend oder krankhaft wahrgenommen. Das eigene Handeln, Denken und Fühlen empfindet der Betroffene als zu sich selbst gehörend (im Sinne eines Bestandteils des eigenen Selbst). Die Betroffenen identifizieren sich daher mit ihren Symptomen und können sich nicht von ihnen distanzieren.“

Mit anderen Worten: Ich habe immer recht, bei allem was ich (nicht) tue.

Auf dieser weiterführenden Seite heißt es dazu:

„Wichtiges differentialdiagnostisches Kennzeichen, welches die Abgrenzung zum Beispiel zum Wahn oder zu anderen “Störungen der Impulskontrolle” (z.B. Kleptomanie, Spielsucht etc.), aber auch zur anankastischen Persönlichkeitsstörung ermöglicht, ist das Gefühl der “Ich-Dystonie”, der “Ich -Fremdheit” der Symptomatik!“

Hintergrund für diese Gedanken ist die Beobachtung, das nach acht Wochen Lockdown, dieser mit seinen Folgen als nicht ungewöhnlich wahrgenommen wird, denn: zu Hause ist es doch am Schönsten.

Vormals aktive Erkrankte empfinden es als zu sich gehörend, jetzt, nach der Lockerung, eben öfter zu Hause zu sein als noch vor acht Wochen. Einen Grund für diese Veränderung braucht es nicht. Hinterfragt wird auch nicht. Es ist, so wie es ist, gut. Zumindest fühlt es sich gut an. Ich-Synton like.

Macht das erzwungene Ausgehverbot hier etwa ein weit verbreitetes, nicht motorisches Parkinson-Symptom, sichtbar? Antriebslosigkeit, Apathie als Folge von Bewegungs- und Reizarmut? Teile der späten Parkies an sich sind  verhaltensunauffällig, friedlich, angepasst und antriebsarm. Und fallen genau dadurch auf. Nur scheint es ok zu sein, so wie es ist. Oder beobachten wir hier nicht gerade den Anfang einer Abwärtsspirale? Stehen mangelnder Input und fehlende Aktivität nicht im Verdacht, den Verlauf der PD ungünstig zu beeinflussen?

Ein Beispiel soll diese These untermauern. Ein bis dahin sein Leben aktiv gestaltender 65 Jähriger beginnt, nur Wochen nach seiner Pensionierung, den Tag ausschließlich damit zu verbringen, auf die Rückkehr seiner Frau von ihrer Arbeit zu warten. Die involvierten Familienmitglieder bestätigen später, nachdem die Diagnose Parkinson gestellt war, dass es ziemlich schnell bergab mit ihm ging. Hilflose, aber gut gemeinte Empfehlungen wie „Mensch Papa, mach doch mal was, geh doch mal in den Tierpark oder so“ verhallten anfangs, wurden später brüsk zurückgewiesen. Zu Antriebslosigkeit gesellte sich Beratungsresistenz. Die schnell fortschreitende Erkrankung belastete die Familie bis an den Rand des Aushaltbaren für lange sechs Jahre.

Medizinisches Personal beschwert sich in der Regel nicht über die Ich-Syntonen Parkies. Im Gegenteil, sind es doch zumeist ruhige Bürger. Man ist eher mitfühlend ratlos. „Außergewöhnlich aufgeweckten“ Parkies verschreibt man auf Verlangen nach einem Schlafmittel  schon mal „Valdoxan„, ein Antidepressivum.

Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Vielzahl erfolgversprechender Interventionsmöglichkeiten schreibt Christian Jung in seinem Buch: 
„Solche und andere zuversichtlich stimmenden Zukunftsaussichten veranlassen Ärzte und Wissenschaftler immer wieder zu der Aussage:
»Die drei Hauptbotschaften für jeden Parkinson-Patienten sollten grundsätzlich lauten: Erstens – nicht aufgeben!
Zweitens – zieh dich nicht zurück aus dem sozialen Leben; ….
Drittens – Versuche immer wieder, das Leben neu zu lernen!«
Da steht nichts von Rückzug.

Andererseits, pathologisch Ich-Synton korreliert „ganz hervorragend“ mit Impulskontrollstörungen aller Art. Wie überzeugend kann man sein, wenn ein 73 Jähriger auf Verlangen Viagra verschrieben bekommt, ohne Rücksprache mit der gleichaltrigen Gattin zu halten. Frau Dr. Anvari wäre das nicht passiert. Schilderte sie doch im November 2019, während der Veranstaltung in der Urania, mit hörbarem Unverständnis für das Anliegen an sich, einen ähnlichen Fall. Verständnis klingt anders.

Impulskontrollstörungen wie Stehlen, Ess,- Spiel- oder Sexsucht werden, von anderen Personen zu Recht als abweichendes Verhalten gesehen, vom Betroffenen nicht hinterfragt. Im Gegenteil – es ist alles ganz logisch. Malende und Dichtende malen und dichten selten ausschließlich im Zustand eines sich selbstverwirklichenden künstlerischen Aktes. Man macht es weil man es kann. Immerhin – nicht ohne Selbstbezug. So lange, bis die Agonisten abgesetzt werden.
Findet man im Netz kaum etwas zum Thema „Parkinson und Impulskontrollstörung“, dann existiert gleich gar nichts zum Thema“ Ich-Syntonie und Parkinson“. Vielleicht ist das Verfassen dieser Zeilen sowohl eine Impulskontrollstörung oder ein Produkt der Ich-Syntonie oder beides. Was denkst du?