Freude!
Freude!
…
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Schwelgerischer und völkerverbindender ist selten ein Werk. Die Hoffnung ist allgegenwärtig, allein – es scheint ein weiter Weg.
Wann wäre es das Gute?
Meine Oma, kürzlich erst 98 geworden, sagt immer: „Hauptsache, es ist Frieden und die Haare liegen.“ Und jedes Mal wenn sie das sagt, lacht sie ihr unnachahmliches, wissendes Lachen. Das mit dem Frieden versteht sich von selbst. Das mit den Haaren kann ich seit dem ersten Lockdown nachvollziehen.
Also, alles gut?
Schön wär’s. Wäre dieser Lockdown nicht, ich hätte sie sicherlich niemals gelesen, die Satzung meines Verbandes. Aber irgendwohin musste ich meine erzwungene Tatenlosigkeit kanalisieren. So ist das manchmal im Leben, man fängt irgendetwas an, denkt sich nichts dabei und lässt sich treiben. Und irgendwie lernt man immer was dabei. So habe ich zum Beispiel gelernt, dass ich als Erkrankter ein ordentliches Mitglied der dPV bin. Nicht Erkrankte hingegen sind einfach nur so Mitglieder. Darüber hinaus lernte ich, dass ich als Mitglied meiner Regionalgruppe einer
„rechtlich unselbstständigen Untergliederung“
angehöre. Korrekterweise muss ich sagen, dass dieser Begriff in der Satzung so nicht vorkommt. Diese spricht von „…nicht in das Vereinsregister eingetragene regionale Gliederungen.“
Erstmals wurde ich im Brief meines Geschäftsführers mit den Begriffen der
„rechtlich unselbstständigen Untergliederung“
konfrontiert. In diesem teilte er mir in freundlichen Worten mit, dass mein Begehren nach § 37 Abs. 2 BGB zur Durchführung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, leider abschlägig beschieden werden muss. Eben aus genau diesem Grund, denn:
„Die einzelnen Regionalgruppen sind gemäß der Satzung der deutschen Parkinson Vereinigung (dPV) nicht im Vereinsregister eingetragene rechtlich unselbstständige Untergliederungen des Verbandes.“
Kaum hatte ich das gelesen, befiel mich ein diffuses Unwohlsein. „rechtlich“, „unselbstständig“, „Untergliederung“ – klingt irgendwie verboten, worauf hatte ich mich denn da eingelassen? Da tritt man im tiefsten Frieden arglos einem Verband bei, und dann sowas. Es kann sicherlich nicht schaden, eine zweite Meinung einzuholen.
Per Satzung das BGB ausgehebelt?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Frau P., Rechtspflegerin beim Amtsgericht Charlottenburg schrieb mir:
„Bei der Regionalgruppe Berlin handelt es sich um eine unselbstständige Untergliederung. Aus der Satzung des Bundesverbandes ergeben sich keine Regelungen zur Organisation der Regionalgruppe. Auch hat die Regionalgruppe selbst keine Satzung festgelegt. Lediglich für die Landesverbände ist vorgeschrieben, dass die beschlossene Mustersetzung für Landesverbände umzusetzen ist.
Sofern sie also mit ihrem Antrag eine Mitgliederversammlung der Regionalgruppe begehren, kann ich diesem Antrag nicht entsprechen da Paragraph 37 Abs. 2 BGB insoweit nicht anwendbar ist.
Ihr Amtsgericht Charlottenburg, gez. Frau P.“
Schlagartig befiehl mich wieder dieses diffuse Unwohlsein. Ehrlich gesagt, das waren etliche ungute Gefühle. Darüber hinaus hatte ich das Gefühl, dass sich in ihrem Schreiben eine Botschaft verbarg. Nur konnte ich diese beim ersten Lesen nicht deuten.
Das Sommerfest
Sie müssen verstehen, beruflich mache ich ganz was anderes. Genau genommen mache ich gar nix mehr. Im vierten Jahr nach der Diagnose warte ich auf die Rente.
Zeitig nach der Diagnosestellung entdeckte ich jedoch, dass ich drei Dinge brauche: Bewegung – Input – Gruppe. Und was liegt da näher, als sich in der Selbsthilfe zu betätigen.
Nun hat man ja immer mal gehört, dass in der Selbsthilfe, egal zu welchem Thema, fortwährend Leute gesucht werden. So auch auf der Homepage meines Verbandes. Ich freute mich schon darauf, als Bruder unter Brüdern und Schwestern gemeinsam irgendetwas Angemessenes in der Selbsthilfearbeit zu leisten.
Jedoch kam die Sache nicht so richtig in Schwung. Willkommenskultur sieht anders aus. Die Sache kam nicht nur nicht richtig in Schwung, nein, sie lief aus dem Ruder. Kurz, wir kamen einfach nicht zusammen, der Regionalleiter und ich.
Ich verstand die Welt nicht mehr und hatte Fragen. Und diese ganze unbefriedigende Fragerei gipfelte in meinem Begehren, die Berliner Mitglieder der Regionalgruppe im Rahmen einer Mitgliederversammlung zu fragen, wie sie sich das Verbandsleben in Zukunft vorstellen. Vielleicht finden wir ja Schnittmengen, an denen wir uns entlang hangelnd, ein angenehmes Verbandsleben organisieren könnten.
Dann wäre es das Gut!
Die Botschaft der Frau P.
Um diese Schnittmengen zu finden, wäre es doch eine gute Idee, ein Sommerfest durchzuführen, um die brennenden Themen unter Betroffenen in entspannter Atmosphäre zu diskutieren. Von den enttäuschenden abschlägigen Bescheiden berichtete ich bereits – also kein Sommerfest.
Dann entdeckte ich Frau P‘s. Botschaft:
„Aus der Satzung des Bundesverbandes ergeben sich keine Regelungen zur Organisation der Regionalgruppe.“
So wie ich das verstehe, ist die Regionalgruppe Berlin nicht nur eine „rechtlich unselbstständige Untergliederung“, nein, sie hat auch keinerlei festgelegte Rechte und Pflichten. Zumindest steht in der Satzung dazu nix drin. Und, ich zitiere weiter: „Auch hat die Regionalgruppe selbst keine Satzung festgelegt.“
Auftritt: Geschäftsordnung
So lückenhaft die Satzung in diesem Punkt auch aussehen mag, es gibt Hoffnung.
An drei Stellen spricht sie von „Regelungen durch eine Geschäftsordnung.“ Diese Geschäftsordnung existiert. Sie ist gut lesbar und leicht verständlich geschrieben und enthält die in der Satzung vermissten „Bedingungen für Stadtstaaten“.
Darüber hinaus verspricht sie Regelungen für „…nicht in das Vereinsregister eingetragene regionale Gliederungen“ oder, um es mit den Worten des Geschäftsführers zu sagen, für „rechtlich unselbstständige Untergliederungen“
Allein, und das hat mich wirklich enttäuscht, die Geschäftsordnung ist nicht Bestandteil der Satzung und besitzt somit keine Gültigkeit.
Ist die Erwähnung der Geschäftsordnung in der Satzung eine Finte, oder
ist das schon Vorsatz?
Stellt sich die Frage, was machen die hier eigentlich und in wessen Namen?
Berlin ist eine Stadt mit 3,8 Millionen Einwohnern und vermuteten 20.000 Parkinson Erkrankten. Organisiert sind ganze 370 Menschen, die mit Parkinson leben. In den zurückliegenden zwei Jahren sank die Mitgliederzahl um unglaubliche 20 %. Die Aussage des Regionalleiters, dass 80 % der Mitglieder über 70 Jahre alt sind, mag die Ursache dafür sein.
Zu den Erkrankten kommen mindestens noch einmal 40.000 PartnerInnen, Kinder, Eltern, Kollegen, die alle früher oder später Fragen haben. Wäre es nicht an der Zeit, eine Beratungsstelle einzurichten? Und sollte diese nicht in Selbstverwaltung des Landesverbandes Berlin betrieben werden?
Die Satzung gibt das her. Zitat: „Die Landesverbände haben die Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Sie führen den Namen ”Deutsche Parkinson-Vereinigung, Landesverband Ländername e. V.“.
Dann suchen wir uns professionelle Leute, die wir nach Tarif bezahlen. Und diese Leute erledigen dann all die Arbeiten, für die wir Parkinson-Erkrankte nur noch schwerlich stabil in der Lage sind. Wie im Bundesverband, nur eben regional. Funktioniert doch woanders auch.
Einen Landesverband gründen, das regelt die Satzung so:
„Der Bundesverband lädt nach Absprache mit dem Landesbeauftragten die Leiter der Regionalgruppen/Kontaktgruppen des jeweiligen Bundeslandes zu einer Gründungsversammlung ein. Sie ist beschlussfähig, wenn mindestens ein Drittel der eingeladenen Regionalgruppen-/Kontaktgruppenleiter anwesend ist.“ Zur Beschlussfassung genügt die einfache Mehrheit.
Die dPV Berlin hat 13 Selbsthilfegruppen (auch Stadtteilgruppen genannt) und 12 GruppenleiterInnen. Also genügen vier Personen, um einen Landesverband zu gründen. Vorausgesetzt, die 4 anwesenden Personen sind sich einig und wünschen die Gründung eines Landesverbandes.
Ein paar Zahlen verdeutlichen dass generelle Ungleichgewicht in der dPV Berlin.
1.: Von den zwölf GruppenleiterInnen sind lediglich vier Parkinson-Erkrankte. Der Regionalleiter und 7 weitere Gruppenleiter sind Nichterkrankte.
Weitere Zahlen repräsentieren das objektive Missverhältnis unter den erkrankten Mitgliedern.
2.: Von 100 % der Erkrankten sind 10 – 20 % unter 60, jedoch 80 – 90 % deutlich über 60. Jahre alt. Das bedeutet, der aktive, progressive, leistungsfähige, willige, ideenreiche, junge Teil der Mitglieder ist rein zahlenmäßig immer unterrepräsentiert.
Wie ließe sich ein Gleichgewicht zwischen erkrankten und nicht Erkrankten Gruppenleitern in Berlin herstellen? Sagen wir, wir streben ein Verhältnis von 50 zu 50 an. Darauf gibt es leider keine Antwort. Weil, noch einmal Zitat Frau P.:
„Aus der Satzung des Bundesverbandes ergeben sich keine Regelungen zur Organisation der Regionalgruppe.“
…irgendwas mit Parkinson.
Es gibt also keinerlei Regeln für die organisatorische Arbeit der Regionalgruppe Berlin, keine Regeln, keine Rechte, keine Pflichten?
Es ist nirgendwo niedergeschrieben, wann und wie z.B. ein Regionalleiter zu wählen ist? Ob, wann und wie oft eine Mitgliederversammlung durchzuführen ist? Nein, diese Regeln gibt es dort nicht.
Die fundamentale Form der Mitbestimmung der ordentlichen Mitglieder der dPV Berlin, sie ist nicht geregelt.
„Interessenvertretung“ findet lediglich unter dem schemenhaften Kontext „irgendwas mit Parkinson“ statt?
Verwaltet vom fehlgeleiteten Selbstverständnis zweier Hände voll (nicht mal ordentlicher) Mitglieder einer „rechtlich unselbstständigen Untereinheit“?
Basis demokratische entstandene Wünsche aus den Reihen der ordentlichen Mitglieder der Parkinson Community, wie z.B. die Gründung einer Selbsthilfegruppe „Arbeit und Parkinson!?“ und andere unter dem Dach der dPV, werden nicht berücksichtigt. Weil die Satzung keine Regelung für basisdemokratische Teilhabe kennt.
Das „Schwarzbuch dPV“ des Autorenkollektivs Hansen/Ulrich lieferte schon 2010 hintergrund Informationen und dokumentiert Zusammenhänge.
Finale
Ja, wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer’s nie gekonnt, der stehle
Weinend sich aus diesem Bund!
Frau P. schreibt abschließend: „Sofern Sie eine Delegiertenversammlung auf Bundesebene begehren, ist das Verfahren von 3/10 der Mitglieder gemäß der Satzung des Bundesverbandes zu betreiben. Ein entsprechender Antrag nach Paragraph 37 Abs. 2 BGB wäre beim Amtsgericht Neuss einzureichen.
Die Mittel des Verbandsrechts sind hier ausgeschöpft.“
Carsten Heisler, Berlin, den 31.12.2020
„Was passiert, wenn man sich nicht von einem Realismus leiten lässt, der vielleicht nur vorauseilender Gehorsam ist, sondern von seinem Möglichkeitssinn“
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