Vitamin B3

Vitamin B3 – oder wieviel ME/CFS steckt im Parkinson-Syndrom?

 

Vitamin B3 gehört zur Gruppe der wasserlöslichen B-Vitamine. Man nennt es auch Niacin.
Niacin kommt in zwei Formen vor: Nicotinsäure und Nicotinamid. Der Körper kann die beiden Formen ineinander umwandeln und aus der Aminosäure Tryptophan auch selbst Niacin bilden. Quelle

 

Etliche, nicht motorische Parkinson-Symptome überraschen durch eine Similarität zu long-Covid Symptomen. Diese wiederum sind schon länger bekannt unter der Symptom-Bezeichnung ME/CFS.

Folgende typische Symptome wurden beobachtet, z.B.:
massiver Abgeschlagenheit
Gleichgewichtsstörungen
Koordinationsstörungen
Gedächtnisstörungen und
Konzentrationsstörungen
brain fog sowie
Gangunsicherheiten und
Geschmacksstörungen.

Ein Blick auf den ME/CFS-Selbsttest der SCHWEIZERISCHE GESELLSCHAFT FÜR ME & CFS untermauert diese Vermutung. Bestärkung findet die Hypothese beim Blick auf  wissenschaftlichen Publikationen der letzten 35 Jahre zu den Themen B3 bzw. Niacin, L-Dopa/Levodopa und Parkinson-Syndrom.

Risikopatientin Maus

So entdeckten Wissenschaftler bereits 1979 einen „Niacin-Mangel bei Parkinson-Patienten, die mit L-Dopa, Benserazid und Carbidopa behandelt wurden“. Quelle

Im Dezember 2021 fanden US-Forscher heraus, das eine niedrig dosierte Niacin-Supplementierung die motorische Funktion bei US-Veteranen mit Parkinson-Krankheit verbessert. Quelle

Aber auch in Deutschland wurde zu diesem Thema schon geforscht. So meldete 1996 ein Forscherteam um Prof. Th. Müller und Prof. Przuntek:
Parenterale (Injektion oder Infusion) Anwendung von NADH bei Morbus Parkinson: klinische Besserung teilweise durch Stimulierung der endogenen (aus dem Körper selbst hervorgehend) Levodopa-Biosynthese

und kamen zu dem Ergebnis, „dass NADH in der verwendeten galenischen Form ein potenter Stimulator der endogenen Levodopa-Biosynthese mit klinischem Nutzen für Parkinson-Patienten sein kann“. Quelle

NADH ist ein Metabolit (Zwischenstufen oder Abbauprodukte) von Niacinamid, einer Form von Vitamin B3; ein anderer Name für NADH ist Coenzym 1.


Eine US-Amerikanische Wirksamkeitsstudie, ebenfalls aus dem Jahre 2021, mit dem Titel:
„Niacin-Verbesserung bei Parkinson“, kommt zu folgendem Ergebnis:

„Wir haben die potenzielle Wirksamkeit der rezeptfreien Niacin-Verstärkung als Proof of Concept zur Unterstützung des Wohlbefindens von Personen mit Parkinson demonstriert. Eine Vitamin-B3-Supplementierung hat das Potenzial, die Symptome aufrechtzuerhalten oder zu verbessern.“ (Ausführliche Studie hier)


Niacin-Verbesserung bei Parkinson: Eine Wirksamkeitsstudie

17. Juni 2021 | https://doi.org/10.3389/fnagi.2021.667032

„Wir haben zuvor berichtet, dass Personen mit Parkinson-Krankheit (PD) im Vergleich zu Kontrollpersonen einen niedrigeren Vitamin-B3-Spiegel aufweisen. Es kann mit Carbidopa-Wechselwirkungen, einem gestörten Tryptophanstoffwechsel und Belastungen durch Nachtschlafstörungen zusammenhängen.“

„Bemerkenswerterweise nahm die Handschriftgröße zu, die Ermüdungswahrnehmung ab, die Stimmung verbesserte sich, der frontale Beta-Rhythmus während der ruhigen Haltung nahm zu, und die Amplitude und der Beschleunigungsbereich der Haltungsschwankung nahmen ab.“

„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Niacin-Verstärkung das Potenzial hat, die Lebensqualität bei Parkinson zu erhalten oder zu verbessern und das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.“

 


Nicht ganz so breitbeinig gelangt die Studie:

Therapeutische Wirkungen von oralem NADH auf die Symptome von Patienten mit chronischem Erschöpfungssyndrom

 

aus dem Jahre 1999 zu dieser Schlussfolgerung: Insgesamt weisen die Ergebnisse dieser Pilotstudie darauf hin, dass NADH eine wertvolle Zusatztherapie bei der Behandlung des chronischen Erschöpfungssyndroms sein kann, und legen nahe, dass weitere klinische Studien durchgeführt werden, um seine Wirksamkeit bei dieser klinisch verwirrenden Störung nachzuweisen. Quelle


„Der Erfolg war „dramatisch“: Der Schwächezustand sowie die körperlichen (und psychischen) (Begleit-) Symptome verschwanden vollständig.“

Diese Erkenntnis soll uns als Überleitung zu einem Fallbericht dienen, welcher dem Sachsen-Anhaltinischen Ärzteblatt 03/2016 entnommen ist.

Die Archivseiten sind leider nicht mehr verfügbar.

Kasuistik: Erfolgreiche Therapie des Chronischen Erschöpfungssyndroms

Soli Deo Gloria

Das Chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome, Kürzel CFS, ICD-10 G93.3) ist eine eigenständige Krankheitsentität, die von „Fatigue“ (im deutschsprachigen Raum meist als Symptom im Zusammenhang z. B. mit Malignomen oder Multipler Sklerose verstanden), „Burn-out“ oder „Unwohlsein/Ermüdung“ abzugrenzen ist. Die Krankheit zeigt einen chronischen Verlauf und gilt als kausal nicht heilbar.

Im Folgenden soll eine Kasuistik vorgestellt werden, die therapeutische Einflussmöglichkeiten auf ein „schubweise verlaufendes“ CFS aufzeigt.

Kasuistik
Status praesens: 55jähriger männlicher Patient (geb. 1960), adipös, (100 kg bei 1,84 m Körpergröße), laborseitig erhöhte CK-gesamt (6,04 µkat, Normbereich <3,20 µkat) und leicht erhöhter ALAT (0.98 µkat, Normbereich <0,85 µkat; Werte vom 02.10.2014, Erhöhungen durch Doppeltestung in zeitlichem Abstand von ca. 3 Monaten bestätigt). Zustand nach multiplen Thrombosen (2mal linke Femoral- und Beckenvene 1981 und 1982, Sinusvenenthrombose im Gehirn 2001. Dauerbehandlung mit Phenprocoumon seit dieser Zeit, Ursache der Thrombophilie ist eine Mutation im Protein-C-Gen).

Anamnese
1981 schwere Verbrennungen Arme, Oberkörper, Thorax; 1. Thrombotisches Ereignis in der Phase der intensivmedizinischen Behandlung in linker Beckenvene. Im Zuge einer gramnegativ/grampositiv polymikrobiellen Sepsis in Kombination mit der Verbrennungskrankheit tritt eine psychotische Episode auf; Behandlung mit Haloperidol; Ausheilung der Episode.

Nach Überstehen des Krankenhausaufenthaltes 1981 stellt Patient bei sich selbst erhebliche Einbußen an körperlicher und geistig-kognitiver Fitness (1) („Leistungsknick“) fest, setzt jedoch trotzdem sein Studium fort. Es kommt (reaktiv?) zum Auftreten depressiver Symptome, subjektiv als schwer empfunden. Aus eigener Initiative kommt es zum Kontakt mit einer psychiatrischen Ambulanz 1983. Eine Depression wurde dort nicht diagnostiziert. Es wurde lediglich Medazepam verordnet.

Eine stationäre psychotherapeutische Behandlung für 8 Wochen (1984) erbrachte langfristig keine Besserung der depressiven Symptomatik.

Im Februar 1986 kam es im Anschluss an eine harmlose virale Pharyngitis zu einem massiven Einbruch der körperlichen und geistigen Fitness, verbunden mit zusätzlichen Symptomen/Befunden: tastbare Halslymphknoten bds.,

Chronifizierung der Pharyngitis und Durchfälle, depressive Verstimmung und Gedächtnisstörungen bei allgemeiner körperlicher Schwäche, so dass nun das Studium für insgesamt 6 Wochen unterbrochen werden musste.
Eine gründliche internistische Diagnostik lieferte weder klinisch noch laborchemisch Anhalte für irgendeine bekannte Erkrankung. Die Fatigue verlief episodisch bis 1989. Der Patient nutzte die symptomarmen Intervalle zu intensivem physischen Training, so dass es ab 1992 zu einer nachhaltigen Besserung kam.

Im Januar 2013 kommt es nach einem Ereignis heftiger Kopfschmerzen (Infektbedingt?) völlig „aus heiterem Himmel“ erneut zu einer Fatigue-Symptomatik.
Versuche, die Symptome durch körperliche Aktivität (z. B. Wandern) zu durchbrechen, bewirkten das Gegenteil. Eine Koloskopie wegen wieder auftretender Durchfälle erbrachte keinen pathologischen Befund.

Im April 2013 kommt es zur Vorstellung des Patienten in der Immundefekt-Ambulanz der Charite Berlin. Dort wird der Verdacht auf postvirales Chronic-Fatigue-Syndrom geäußert (G93.3, anhand 5 von 8 erfüllten FUKUDA-Nebenkriterien (alle 6 Hauptkriterien erfüllt), mit einem Schweregrad von 40/100 nach BELL); DD: post-Lyme Disease Syndrom .
Die Serologie auf EBV zeigte das Bild einer abgelaufenen Infektion (EBNA-1 pos), im Borrelien-Blot wurde u. a. eine stark reaktive vlsE-Bande gefunden, was Anlass zu o. g. DD war.
Es war im Jahr 2013 insgesamt eine Krankschreibung über 7 Monate mit 2 Monaten konsekutiver Wiedereingliederung in das Berufsleben notwendig.

Therapie
Im Juli 2014 folgte ein weiterer „Schub“ des CFS. Da ein (scheinbar nebensächliches) Symptom bei dieser rätselhaften Erkrankung immer Blässe der Gesichtshaut war, wurde (in Erinnerung daran, dass es in der DDR ein Medikament mit den Komponenten Magnesium und Nikotinsäure gab: das „Magnesium compositum°“) ein Versuch, das aktuelle Krankheitsbild durch Gabe von Nikotinsäure zu lindern, durchgeführt.

Das Arzneimittel wurde bewusst in 250-mg-Schritten tagsüber aufdosiert, bis ein „flush“ auftrat. Der Erfolg war „dramatisch“: Der Schwächezustand sowie die körperlichen (und psychischen) (Begleit-) Symptome verschwanden vollständig.
Die Gabe von Nikotinsäure wurde fortgesetzt. Dabei zeigte sich, dass im Stadium der Fatigue hohe Nikotinsäure-Dosierungen (20 mg/kg*d) nötig waren, nach Eintreten der Besserung wurden als „Erhaltungstherapie“ dann nur noch 2,5 mg/kg*d benötigt.
Da Nikotinsäure Nebenwirkungen hat (z. B. Erhöhung des Nüchtern-BZ), wurde untersucht, ob man den flush nicht durch Gabe eines 2. vasoaktiven Stoffes „boostern“ kann.
Der stärkste Synergismus wurde mit Arginin erzielt: Nach einer 5-tägigen „Aufsättigungsphase“ mit 40 mg/kg*d Arginin bewirkte bereits die Gabe von 2,5 mg/kg*d Nikotinsäure einen flush (prinzipiell möglich sind auch Kombinationen des Niacins mit Cayenne-Kapseln oder ätherischen Ölen der Pfefferminze anstelle des Arginins).

Die Dauergabe von 2,5 mg/kg*d Nikotinsäure mit 20 mg/kg*d Arginin scheint zur Prävention eines CFS-Rezidivs wirksam zu sein.

Dabei sollte die Nikotinsäure morgens verabreicht werden, die Arginin-Dosis lässt sich dagegen hälftig auf den Morgen und den Abend verteilen.

Diskussion
Das CFS „sensu stricto“ wird auch als „Myalgische Enzephalitis“ bezeichnet. Es ist sehr fraglich, ob man eine „Enzephalitis“ mit Substanzen, die in die Mikrozirkulation eingreifen, „heilen“ kann. Es werden vereinzelte Behandlungsversuche mit NADH bzw. Carnitin berichtet (2), allerdings mit wechselndem Erfolg. Die Behandlung mit Carnitin wurde auch in diesem Fall versucht: Es zeigte sich keine Besserung des Beschwerdebildes.

Es muss davon ausgegangen werden, dass das CFS ätiologisch uneinheitlich ist, und Substanzen zur Verbesserung der Mikrozirkulation wohl nicht in jedem Fall wirksam sein werden. Eine probatorische Gabe ist dennoch anzuraten, da der Behandlungserfolg stark ist und unmittelbar auftritt. Man kann also schnell eine Entscheidung treffen, ob man mit o. g. Therapie weiter kommt.

Literatur beim Verfasser

Korrespondenzanschrift:
Dr. med. Michael Scheven
Louis-Schlutter-Str. 16 a
07545 Gera

wird fortgesetzt